Geburt und Therapie – wie passt das zusammen?

17. Oktober 2016

Aktualisiert am 11. Oktober 2024

Zum Einen ist dieses die Geburt meines Blogs 🙂 und zum Anderen können Schwangerschaft und Geburt etwas damit zu tun haben, wie ein Baby alle neuen Reize verarbeiten kann, seine Sensorische Integration und damit die weitere Entwicklung, Bindung, sowie die Interaktion mit dem Umfeld gelingt.

In meiner Arbeit stand schon immer die Frage nach Schwangerschaft und Geburt auf dem Aufnahmebogen und oftmals war da irgendetwas los: z.B. Stress oder andere emotionale Belastungen, viel Liegen in der Schwangerschaft, Eingriffe in die Geburt, wie Einleitung, PDA, Saugglocke, Frühgeburt, Trennung nach der Geburt oder Kaiserschnitt.

Daher hat mich dieses Thema nicht losgelassen und ich wollte wissen wie es zusammenhängt, dass bei späteren Diagnosen (wie z.B. Regulationsstörungen („Schreibabys“), AD(H)S, Autismus, Hochsensibilität, Ängsten, Depressionen) der Start ins Leben oft „holprig“ war und häufig ehemalige Frühchen von solchen Diagnosen betroffen sind.

Seit einigen Jahren weiß ich wie wichtig Schwangerschaft und Geburt für den weiteren Verlauf des Lebens sein können.

Unter anderem hat dazu auch der Kölner GeburtsTag beigetragen, der von drei hochengagierten Frauen ehrenamtlich organisiert wird und ganz bald, vom 29.-30.10.16, wieder stattfindet.

Bereits im Mutterleib beginnt die Verarbeitung von Reizen (ein toller Buchtipp dazu ist „Das Geheimnis der ersten neun Monate„).

Die Verarbeitung kann durch bestimmte Bedingungen wie z.B. Stress oder langes Liegen beeinflusst werden, so dass das Kind bereits ein Stück empfindlicher auf die Welt kommt.

Das kann z.B. eine Empfindsamkeit gegenüber vestibulären (Gleichgewichts-) Reizen sein, die das Kind stärker auf bestimmte Bewegungen reagieren lassen.

Da wir „Säugetiere“ sind brauchen wir, wie alle anderen Säugetiere auch, einen sicheren Ort zum Gebären. Ist dieses nicht gegeben, so sagt der Körper: Achtung! Gefahr!, macht nicht weiter, was eben zu den oben genannten Eingriffen führt oder das Kind kommt im rasanten Tempo auf die Welt. Auch die eigene Geschichte kann einen Einfluss auf die Geburt haben, da die meisten von uns nicht „artgerecht“ auf die Welt gekommen sind.

Das alles kann bedeuten, dass es zu einem Geburtstrauma beim Kind, aber auch bei der Mama, führt.

Dabei gibt eine Mutter immer ihr Bestes und ist keineswegs Schuld an den Eingriffen!

Es ist ziemlich egal wo und wie wir gebären, aber wir müssen uns wirklich sicher fühlen, um vertrauen und loslassen zu können. Der Verstand darf sich ausschalten und die „primitiven“ Funktionen unseres Gehirns walten lassen.

Aktuelle Situation in der Geburtshilfe

Die Grundvoraussetzungen (u.a. Sicherheit, Zeit und eins-zu-eins Betreuung) sind leider oftmals durch Kostendruck, zu wenig und überlastetes Personal, höherer Verdienst bei Eingriffen und Angst vor Klagen, nicht gegeben. Leider geben immer mehr Hebammen ihren Beruf auf, da sie die Kosten der Haftpflichtversicherung nicht mehr zahlen können. Weitere Informationen dazu gibt`s in diesem Radiofeature:

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Oxytocin -wichtig für`s Urvertrauen, Sicherheit, Bindung und Stressreduktion

Bei der Geburt ist es wie beim Verlieben: der erste Eindruck zählt!

Oxytocingeschwängert bedeutet das ein überwältigendes Gefühl und sofortiges Vertrauen in dieses Kind, welches einen mit wachen Augen anguckt und sofort Bindung herstellt.

Ist dieser Ablauf gestört worden und das Verlieben hat nicht oder kaum stattgefunden, so gibt es zum Glück auch die Liebe auf den zweiten Blick, aber dazu später mehr….

Hier kommt der Zusammenhang mit der Therapie ins Spiel, denn werden die natürlichen Hormone durch Eingriffe kaum oder gar nicht ausgeschüttet -allen voran das Oxytocin– so kann es dem Kind nach einer solchen Geburt schwerer fallen anzukommen und alle Reize gut zu verarbeiten.

Oxytocin führt unter anderem dazu, dass Stresshormone reduziert werden, Vertrauen aufgebaut wird, Bindung entsteht, der Milchfluss angeregt wird und sich die Gebärmutter wieder zusammenzieht (meine Buchempfehlung: Oxytocin -das Hormon der Nähe).

Fehlt dieses, ist die Gefahr der Wochenbettdepression bei der Mama deutlich erhöht, das Stillen kann erschwert sein und die Frau hat es oft schwerer sich zu erholen.

Das Baby ist durch die fehlende Oxytocinausschüttung häufig unruhig und weint oder es schläft zunächst unglaublich viel.

Schreien ist übrigens super, denn es ist ein Ventil, um Stress loszuwerden und alles zu verarbeiten.Daher ist es so wichtig dieses liebevoll zu begleiten.

Darüber werde ich sicher noch einen weiteren Artikel schreiben!

Weinen ist Verarbeitung!

Meist wird häufiges Weinen damit begründet, dass es sich um die Dreimonatskoliken oder Blähungen handelt, die jedoch erst und wenn überhaupt durch das Schreien entstanden sind.

Immer wieder missverstehen Eltern eine Überstreckung des Kindes oder Weinen auf dem Arm als Abwehr, haben dadurch noch mehr Stress und reduzieren den Körperkontakt, was widerum die Oxytocinausschüttung vermindert und die Reizverarbeitung zusätzlich erschwert.

Dabei braucht das Kind einen „Fels in der Brandung“, um sich sicher und gehalten zu fühlen, gerade wenn es ihm nicht gut geht und es etwas zu erzählen hat. Ein Baby würde niemals seine Eltern abwehren, da es komplett abhängig von ihnen ist.

Die starken Reaktionen haben immer einen Grund und den gilt es zu verstehen.

Wird dieses nicht aufgelöst, so kann es die Interaktion zwischen Eltern und Kind nachhaltig beeinflussen und die Reizverarbeitung (Sensorische Integration) weiter behindern.

Diese Kinder landen häufig, meist ab dem Kindergarten oder Schulalter, in diversen Therapieformen.

Der Mensch – eine physiologische Frühgeburt

Zudem kommen Menschenkinder drei Monate zu früh auf die Welt, da sie sonst, aufgrund unseres aufrechten Ganges und des größeren Gehirns, nicht mehr durchpassen würden.

Somit ist der Übergang vom warmen, gemütlichen All-inclusive-Hotel in eine Welt mit Schwerkraft, Kälte, fremden Gerüchen und Geräuschen gar nicht so einfach zu verkraften.

Einem Kind, das durch Kaiserschnitt auf die Welt kommt, kann, neben einem verminderten Mikrobiom,  häufig die erste „Landkarte“ seines Körpers fehlen, welche durch die Enge und das Schieben durch den Geburtskanal entsteht.

Um all diese Reize gut zu verarbeiten und evtl. die „Landkarte“ des Körpers nachzuholen, braucht es sehr viel Nähe (man bedenke, vorher waren Mutter und Kind eine Einheit) und eben manchmal ein Verarbeiten von traumatischen Erfahrungen.

Da wir Menschenkinder Traglinge sind, hilft diese intensive Nähe und Enge sehr beim Verarbeiten!

Heilsame Zeit – das Wochenbett

Wichtig ist auch ein entspanntes Wochenbett, um in Ruhe anzukommen, sich gegenseitig kennenzulernen und eventuelle Geburtsverletzungen zu heilen.

Dabei ist es gut sich Hilfe zu holen, betüdeln zu lassen und das Netzwerk zu nutzen.

Mothering the Mother“ ist das Stichwort. Eine Mutter (und natürlich auch der Vater!) sollte sich nach der Geburt weiterhin sicher und aufgehoben fühlen, sowie ein gutes Netzwerk haben.

So kann auch die „Liebe auf den zweiten Blick“ gelingen!

Ist das nicht möglich, so ist es weiterhin für das Baby schwerer, all die neuen Reize zu verarbeiten und es entsteht häufig ein Kreislauf aus Weinen oder Erstarrung (viel Schlaf, Totstellreflex, z.B. bei Frühchen), Stress, noch mehr Reizen und Erschöpfung oder Entwicklungsverzögerungen.

Es ist mir ein großes Anliegen aufzuklären, wie bestimmte Zusammenhänge spätere Verhaltensweisen beeinflussen können, für eine normale Geburt zu „werben“, die Hebammenarbeit zu unterstützen und zu zeigen, dass Frauen (Babys und Väter) ein erfüllendes Geburtserlebnis haben können.

Die Liebe auf den zweiten Blick kann aber auch gelingen, indem man sich Hilfe holt, die Traumata  auflöst, sich mit anderen vernetzt und seinen Frieden mit der Geburt schließen kann.

Wir Menschen sind nicht dafür geschaffen ein Kind alleine oder als Paar großzuziehen, es braucht ein ganzes Dorf, um möglichst „artgerecht“ groß zu werden.

Somit gibt es viele Faktoren, die die Bindung, Eltern-Kind-Interaktion und Wahrnehmungsverarbeitung beeinflussen.

Schwangerschaft und Geburt sind ein Teil davon, jedoch sehr wichtig, da die Oxytocinausschüttung schon früh konditioniert wird, wie Frau Dr. Uvnäs-Moberg in ihrem Buch „Oxytocin-das Hormon der Nähe“ beschreibt und jahrelang erforscht hat.

Kleine Hilfestellungen, ein gutes Netzwerk oder kurzzeitige professionelle Hilfe machen vieles leichter und können spätere Ergo- oder auch andere Therapien ersparen.

Um einen kleinen Eindruck zu bekommen, wie die Geburt, vor allem die Ausschüttung des so wichtigen Oxytocins, durch Eingriffe gestört werden kann, empfehle ich dieses Video.

Denn die Geburt benötigt die gleichen Voraussetzungen wie Sex 🙂

Video Link: https://youtu.be/lZG0T7xHy6A

Ich habe es selber erfahren und schon viele Eltern begleitet die berichtet haben, dass sie einen deutlichen Unterschied sehen, je nachdem wie ihre Kinder geboren wurden. Häufig wird mir berichtet, dass bei einer interventionsfreien Geburt, wo die Liebe auf den ersten Blick sofort stattfinden konnte, das Vertrauen in das Kind deutlich größer ist (bedingt durch die Oxytocinausschüttung), als bei einem Geschwisterkind, wo in die Geburt eingegriffen wurde.

Wie sind eure Erfahrungen? Ich freue mich über Kommentare und Rückmeldungen!

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