Zehn Tage Schweigen und Meditieren. Hochschwanger. Bin ich jeck (kölsches Wort für `n büschen bekloppt)?
Das haben bestimmt einige gedacht und ich mich selber gefragt, denn ich hatte schon ein wenig Muffensausen, was das wohl mit mir machen wird.
Dabei ist Schweigen überhaupt kein Problem für mich, ich liebe die Stille!
Aber 10 Tage komplett raus, offline, ohne Bücher oder etwas zu schreiben und ohne zwischenmenschliche Kontakte, selbst Blickkontakt sollte man nicht aufnehmen.
Wer weiß was da alles passiert! Ohne mich und in mir drinnen!
Vier Wochen nach dem Vipassana habe ich ein Video mit meinen Erfahrungen aufgenommen.
Drei Tage später habe ich unsere Tochter geboren und daher hat es etwas gedauert, bis ich die Muße hatte es hochzuladen.
Das Video mit meinen Erfahrungen ist fast eine Stunde lang, daher möchte ich ein paar Dinge zusammenfassen, damit du einen schnelleren Einblick bekommst, was Vipassana ist und was ich dabei erlebt habe.
Was ist Vipassana?
Vipassana ist eine der ältesten Meditationstechniken Indiens und bedeutet soviel wie die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind“. Vipassana wurde in Indien vor über 2500 Jahren von Gotama, dem Buddha, wiederentdeckt und von ihm als ein universelles Heilmittel gegen universelle Krankheiten, als eine Kunst zu leben gelehrt. Keiner bestimmten Religion zugehörig, strebt diese Technik, die vollständige Beseitigung geistiger Unreinheiten und letztendlich das Glück vollkommener Befreiung an.
Vipassana ist ein Weg der Selbstveränderung durch Selbstbeobachtung. Der Fokus liegt auf der tiefen Wechselbeziehung zwischen Körper und Geist, die durch eine geschulte, auf die körperlichen Empfindungen gerichtete Achtsamkeit auf direktem Wege erfahren werden kann. Diese Empfindungen bestimmen das Leben des Körpers und beeinflussen so im ständigen Wechselspiel die Konditionierung des Geistes. Die auf eigene Beobachtung gründende, selbsterforschende Reise zu dem gemeinsamen Ursprung von Geist und Körper löst die geistigen Unreinheiten auf und führt zu einem ausgeglichenen Geist voller Liebe und Mitgefühl.
Die Naturgesetze, die unser Denken, unsere Gefühle, unsere Urteile und Empfindungen steuern, werden eindeutig erkennbar. Durch direkte Erfahrung wird verständlich, wie man Fortschritte oder Rückschritte macht, wie man Leiden schafft oder sich vom Leiden befreit. Gesteigerte Achtsamkeit, das Erkennen von Illusionen, Selbstkontrolle und Frieden werden zu Kennzeichen des eigenen Lebens.
(übernommen von der Homepage: https://www.dvara.dhamma.org/de/vipassana/. Dort findest du noch weitere Informationen!)
Warum war ich als Schwangere 10 Tage in der Schweigemeditation?
Ich habe schon einiges in meinem Leben „aufgeräumt“ und vor ca. 1 1/2 Jahren habe ich in einem Podcast von Laura Seiler (den ich im Übrigen sehr empfehlen kann) von Vipassana gehört. Ich war fasziniert und habe mir vorgenommen, diese Meditation auf jeden Fall eines Tages zu machen.
Jedoch war ich nie so richtig bereit dazu -10 Tage Schweigen und Meditieren ist schon eine Herausforderung. Ich habe ja eh jeden Morgen meditiert, da fühlte es sich nicht so dringend an.
Bis ich schwanger wurde.
Da war klar: Jetzt oder (für eine lange Weile zumindest) Nie!
Zudem habe ich in der Schwangerschaft gemerkt, dass meine Meditation am Morgen nicht mehr so recht funktionieren wollte. Mir wurde schnell übel, ich hatte das Gefühl mein Kreislauf sackt weg und habe somit immer die Position verändert oder die Meditation vorzeitig abgebrochen.
Mir war klar, dass es nichts mit der Schwangerschaft zu tun hat, denn wenn ich einfach so in dieser Position saß, hat es mir nichts ausgemacht. Irgendetwas wollte mein Körper mir mitteilen. Ich war jedoch zu schissig, um da alleine durch dieses „unangenehme“ Gefühl durchzugehen und die Übelkeit, sowie das Absacken des Kreislaufes komplett zulassen zu können.
Nach meiner ersten Schwangerschaft habe ich mich intensiv mit den Themen Tod, Loslassen und meinen Vorfahren beschäftigt. Aufgrund der Sprachlosigkeit meiner Groß- und Elterngeneration ist es häufig so, dass viele Traumata nicht gelöst und epigenetisch weitergegeben werden können.
Ich wollte genauer hinspüren und schauen, ob da was ans Tageslicht möchte, vor allem, damit unsere Tochter nicht das olle Gepäck weiter mitschleppen muss. Ein weiterer Punkt war, dass während einer Geburt viele Dinge hochkommen können, die einem vorher nicht bewusst waren. Dem wollte ich vorgreifen, um gleichmütig die Geburtsreise antreten zu können.
Wie war der Tagesblauf?
Der allgemeine Ablauf sah so aus:
04:00 Gong – Aufstehen
04:30-06:30 Meditation in der Halle oder im eigenen Zimmer
06:30-08:00 Frühstückspause
08:00-09:00 GRUPPENMEDITATION IN DER HALLE
09:00-11:00 Meditation in der Halle oder im eigenen Zimmer entsprechend den Anweisungen des Lehrers
11:00-12:00 Mittagessen
12:00-13:00 Ruhepause und Gelegenheit zum Interview mit dem Lehrer
13:00-14:30 Meditation in der Halle oder im eigenen Zimmer
14:30-15:30 GRUPPENMEDITATION IN DER HALLE
15:30-17:00 Meditation in der Halle oder im eigenen Zimmer entsprechend den Anweisungen des Lehrers
17:00-18:00 Teepause
18:00-19:00 GRUPPENMEDITATION IN DER HALLE
19:00-20:15 Vortrag des Lehrers in der Halle
20:15-21:00 GRUPPENMEDITATION IN DER HALLE
21:00-21:30 Zeit für Fragen in der Halle
21:30 Nachtruhe – Licht aus
Zwischendurch konnte man wunderbar an diesem herrlichen Ort spazieren gehen oder sich ausruhen.
„Extrawürste“ für Schwangere
Ich als Schwangere, die im Übrigen nicht alleine war (wir waren zu Fünft!), wurde am ersten Tag von der Lehrerin zum Gespräch gerufen. Sie hat mir gratuliert, dass ich diese wertvolle Zeit nutze und mir mitgeteilt, dass ich mich beim Vipassana, was ab dem vierten Tag stattfindet und den Body Scan sowie komplett stilles Sitzen beinhaltet, bewegen darf und auch immer gut auf mich achten soll.
Die Meditationszeiten waren nicht so „streng“ und ich durfte mich zwischendurch hinlegen und schauen, was für mich das Richtige ist.
Außerdem gab es für uns Schwangere am Abend nicht nur Tee, sondern auch noch eine Mahlzeit und wir hätten uns jederzeit melden können, wenn wir mehr gebraucht oder sonstige Wünsche gehabt hätten. Ich hatte mir ein Einzelzimmer und ein paar mehr Kissen gewünscht, was ich auch bekommen habe und für mich der absolute Luxus war.
Kompletter Kontrollverlust
Tatsächlich kam direkt in der allerersten Meditation die Übelkeit und das Gefühl der Ohnmacht mit voller Wucht wieder auf mich zu. Mir lief der Schweiß in Strömen runter und ich hatte das Gefühl komplett die Kontrolle zu verlieren.
Andere würden dieses Gefühl vielleicht sogar mit Todesangst beschreiben. Für mich war jedoch klar, dass mein Körper mir etwas mitteilen und durch dieses Gefühl hindurch musste, um es aufzulösen.
Somit habe ich mich, mit dem winzig klein bisschen Kontrolle, was noch da war, auf meine Atmung fokussiert. Damit beginnt man in den ersten Tagen und ich merkte nach einer Weile, dass sich mein Körper von dem Gefühl der Ohnmacht und des Kontrollverlustes loslöste, sortierte, bis es ganz verschwunden war.
Das woran ich seit Monaten rumdoktorte und was mich total in meiner Meditation „gestört“ hatte, war komplett verschwunden und es tauchte nie wieder auf!
Wie ging es weiter?
Das Schweigen bewirkte, dass die Sabbeltasche in meinem Kopf (meine Gedanken) immer lauter wurde! Der Kopf ist den ganzen Tag am Bewerten und Kommentieren. Durch das laute Drumherum bekommen wir es nur meist nicht mit. Vielleicht merkst du es, wenn du versuchst einmal in Ruhe zu sitzen und nichts zu denken…..probier`s mal.
Körperlich kamen schmerzhafte Empfindungen dazu, die sehr hartnäckig waren, sich jedoch mit der Zeit veränderten. Starke Gefühle kamen hoch, die sich ebenfalls verändern und entladen konnten. Durch das gleichmütige Betrachten und nicht bewerten der Empfindungen und Gefühle, dem Sein im Hier und Jetzt, hat sich alles komplett gelöst.
Wenn du wissen möchtest, was mein Kopf die ganze Zeit gesabbelt hat, welche körperlichen Empfindungen genau aufgetaucht sind, was diese bedeuten und welches starke Gefühl mich fast dazu gebracht hätte jemanden auf die Fresse zu hauen, dann schaue dir mein Video an, in dem ich das alles ausführlich erzähle:
Zum Video: 10 Tage Vipassana in der Schwangerschaft
Kosten
Vipassana ist komplett kostenlos und wird durch Spenden finanziert. Jeder kann am Ende selber entscheiden, was es wert war.
Die Lehrer, die Betreuung und die Küche sind allesamt Ehrenamtler, die uns im Nachhinein berichtet haben, wie wertvoll diese Erfahrung auch für sie gewesen ist und wie wertschätzend alle miteinander umgegangen sind.
Nachdem man einen 10-Tages-Kurs durchgeführt hat, darf man danach als Helfer mitarbeiten und natürlich auch an den Meditationen teilnehmen.
Fazit
Vipassana hat meine Erwartungen voll und ganz erfüllt! Mir war es wichtig meinen Körper in der Stille „sprechen“ und Dinge hochkommen zu lassen, die gehört und aufgelöst werden wollten.
Denn unser Körper ist ein Wunderwerk und in der Lage, Erfahrungen auch im Nachhinein zu verarbeiten und zu lösen, damit diese nicht irgendwann Krankheiten hervorrufen oder einen im Leben anderweitig negativ beeinflussen.
Einige Dinge habe ich jedoch auch hinterfragt und bewerte (leider, aber ich arbeite dran) weiterhin (siehe Video).
Es gibt sicher immer wieder etwas, was gesehen und losgelassen werden möchten. Daher werde ich vielleicht eines Tages nochmal zum Vipassana gehen und meine Meditationspraxis natürlich weiter fortführen, aber ich sehe Vipassana für mich nicht als einzig wahren Weg, der mich in die Erleuchtung bringt. Ich möchte nämlich gar nicht erleuchtet werden 😉. Es genügt mir alten Ballast abzuwerfen und weiterhin glücklich und zufrieden zu sein, was durch diese Technik ganz wunderbar unterstützt wird.
Nach dem Vipassana konnte ich ohne Schwierigkeiten eine Stunde am Stück meditieren, was vorher undenkbar gewesen wäre!
Die Geburtsreise konnte ich weitestgehend gleichmütig angehen. Doch auch ich wurde selbst bei einer (insgesamt schönen) Hausgeburt, durch die zweite Hebamme aus der Bahn geworfen (dazu findest du auf Instagram einen Post am 25.11., dem Roses Revolution Day). Das hat mir nochmal mehr gezeigt, wie wichtig ein sicheres Umfeld für die Geburt ist.
Mit Baby haben sich die Zeiten reduziert, werden aber sicher eines Tages wieder zu einer Stunde ausgeweitet. Wenn ich gerade wach bin und die Lütte gestillt habe, dann stehe ich zwischen 4 und 6 Uhr auf, mache meine 1-2stündige Morgenroutine, die u. a. auch eine Meditation beinhaltet. Danach wird dann weiter mit dem Baby gekuschelt.
Im Alltag bringe ich mich schneller wieder zurück ins Hier und Jetzt und nutze den Body Scan, z.B. beim Stillen oder wenn ich in der Nacht wach bin. Das erfrischt mich oder bringt mich schneller wieder in den Schlaf.
Ich leide daher auch nicht an Schlafmangel und finde das Leben mit Baby neu, spannend und tatsächlich entspannt!
Somit kann ich es jedem empfehlen, der bereits Erfahrungen mit Meditation gemacht hat und gerne einmal tiefer in sich hineinschauen möchte.
Es lohnt sich!
Kerstin